Hannover, 19. August 2024

Pressemitteilung von FUSS e. V. - Ortsgruppe Hannover zum Antrag „Konzept zur nachhaltigen
Weiterentwicklung und Stärkung der hannoverschen Innenstadt – Änderung des Handlungsprogramms im
Innenstadtkonzept ‚Mitte neu denken‘“

Die Fraktionen von SPD, CDU und FDP im Rat der LHH haben am 9.8.2024 den gemeinsamen Antrag gestellt (Antrag Nr. 1554/2024). Auf die Belange des Verkehrs geht das Papier insbesondere unter III. Stadtentwicklung und Bauen mit den Punkten 31 bis 49 und unter IV: Mobilität mit den Punkten 50 bis 70 ein. Der Fußverkehr wird nur an wenigen Stellen ausdrücklich behandelt. Es werden zahlreiche gute Empfehlungen aus dem vom Rat im September 2022 verabschiedeten Innenstadtkonzept 2035. Mitte neu denken wiederholt (etwa smarte Mobilitäts- und Logistikkonzepte), ohne dies kenntlich zu machen. So steht unter Punkt 50: Der Fußverkehr genießt als Basismobilität oberste Priorität. Allerdings schränkt man die Empfehlungen des Konzepts von 2022 zuungunsten des Fußverkehrs ein. Und anders als dort wird im Vagen gelassen, wie die geänderten Empfehlungen umgesetzt werden sollen.

Stattdessen: Halbseitiges Parken auf Gehwegen soll weiterhin erlaubt sein und Parken im Straßenraum soll nicht eingeschränkt werden (Pkt. 56). Zufußgehende können sich also weiterhin nicht darauf verlassen, dass die Gehwege ihnen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Dabei stehen Parkhäuser halb leer, weil es keine Anreize gibt (etwa niedrigere Gebühren als im Straßenraum) sie zu nutzen.

Der Ausbauzustand des Cityrings soll so bleiben, wie er ist (Pkt. 58). Das bedeutet am Cityring, es fehlen weiterhin Übergänge für Zufußgehende und Radfahrende und vorhandene Übergänge haben lange Wartezeiten für alle nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmenden, teilweise müssen zwei bis drei Ampelschaltungen (z. B. beim Überqueren der Kreuzung Sallstraße/Berliner Allee und Marienstraße) abgewartet werden. Die Querungen sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, ob im Rollstuhl oder mit Rollator, herausfordernd, da die Ampelschaltungen den Verkehrsfluss der Kfz bevorzugen. Die Breite der Straße, etwa am Leibnizufer, am Schiffgraben, an Berliner und Hamburger Allee, lädt weiterhin zum Rasen ein. Das Papier fordert eine strikte Trennung von Fuß- und Radverkehr (dies wird von FUSS e. V. unterstützt), zusätzliche Fahrradbügel, verbindliche Regeln und ausgewiesene Abstellflächen für E-Scooter – all dies aber ohne die Wegnahme von Parkflächen. Das kann nur bedeuten, dass der Flächenbedarf dem Gehwegbereich genommen werden soll. Eine Verlagerung des oberirdischen Straßenparkens in die in der Innenstadt reichlich vorhandenen Parkhäuser wird nicht befürwortet, obwohl deren Kapazitäten nachweislich nicht ausgelastet sind. (Stattdessen plädiert das Papier von SPD-, CDU- und FDP-Fraktion dafür, unter dem Leibnizufer ein zusätzliches unterirdisches Parkhaus zu bauen– zur Sinnhaftigkeit und Finanzierung kein Wort.) Im Resultat bedeuten die sich fahrradfreundlich gebenden Vorschläge, dass Rad- und Fußverkehr sich wie gehabt den Straßenraum neben den Fahrbahnen teilen sollen, damit bei Kfz keine Abstriche erfolgen. Die von vielen Menschen in Hannover gewünschte gerechtere Verteilung des Straßenraums ist damit nicht in Sicht. Die Bevorzugung des motorisierten Individualverkehrs löst keines der Probleme der Innenstadt, die „klimaneutrale und resiliente Stadt“, die Hannover werden müsste, um zukunftsfähig zu sein, ist so nicht realisierbar. Die vielen hannoverschen Bürger*innen, die sich in den Beteiligungsverfahren für die Zukunft der Innenstadt eingebracht haben oder an der repräsentativen Erhebung (mit fast 3700 Rückläufen) teilgenommen haben, werden enttäuscht. Sie sprachen sich dafür aus, dass die City grüner werden und mehr Aufenthaltsqualität bekommen soll. 57 % befürworteten, dass Pkw-Stellplätze in Grünflächen umgewandelt werden können, 44 % sprachen sich dafür aus, umgewidmete Stellplätze für breitere Gehwege zu nutzen (s. Zentrale Ergebnisse der Repräsentativerhebung 2021 „Innenstadt und Mobilität“, 7.10.2021). Aufenthaltsqualität heißt: mehr Grün, einladende Sitzgelegenheiten, Plätze zum Verweilen, weniger Autolärm, weniger Abgase, Barrierefreiheit für alle (auch ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen usw.), erträgliche Temperaturen im Sommer, Trinkbrunnen, Grünoasen wie Leinepark und Maschpark. Dazu gehört unserer Auffassung auch, qualitätvolle und identitätsstiftende Elemente der Innenstadt (Stichwort: Baukultur) in Wert zu setzen, sichtbar zu machen und zu erschließen. Es gibt so viel Sehenswertes in Hannover: Gebäude, Plätze, Kunst im öffentlichen Raum, Bauschmuck, Spuren der mittelalterlichen Stadt, Zeugnisse des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, Häuser, in denen berühmte Persönlichkeiten lebten oder zu Gast waren u. v. m. Mit noch mehr beliebigen Events, Märkten und Rummelplätzen kann die City kurzfristig voll werden, aber eine nachhaltige Strategie ersetzt dies nicht. Warum zum Beispiel einen Abenteuerspielplatz ausgerechnet am Georgsplatz, wo wohl kaum viele Kinder wohnen und wo die Luft voller Abgase ist (insbesondere wenn hier freitags auf der Gehwegfläche Motorradtreff ist).

Unter II. Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit listet der gemeinsame Antrag eine Reihe von Einzelmaßnahmen auf (größere Mülleimer!), die nützlich sein können. Ein zentrales Anliegen von FUSS e. V. für mehr Sicherheit, das innerstädtische Tempo auf 30 bzw. 20 km/h zu drosseln, fehlt hier allerdings. Auch eine fußgängerfreundlichere Schaltung von Ampeln würde dem Sicherheitsgefühl von älteren oder gehbehinderten Menschen, z. B. mit Rollator nützen. (Damit sie nicht, wie vor der Henriettenstiftung an der Marienstraße leider häufig zu beobachten, auf der schmalen Mittelinsel auf die nächste Grünphase warten müssen.)

Unter IV. Beteiligung werden eine Reihe von Gruppen genannt, mit denen Maßnahmen ab einer Größenordnung von über 500.000 Euro abgestimmt werden sollen. Hier fehlen die im Verkehrssektor kompetenten Gruppen wie VCD, ADFC, FUSS e. V., ADAC, es fehlen Gleichstellungsbeauftragte und Frauengruppen wie Violetta, Frauennotruf usw., die zu Fragen der Sicherheit in der Innenstadt (Pkt. 19, 22, 24) und Angsträumen (Pkt. 20) unbedingt einzubeziehen sind.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das Papier kein Konzept liefert. Es wirkt eher so, als hätte sich jeder der Beteiligten mal was wünschen dürfen, solange damit nicht der Vorrang des Autoverkehrs angetastet würde. Entmutigend! Oder mit Goethe: Fehlt, leider! nur das geistige Band.

Im Folgenden nehmen wir zu einzelnen Punkten Stellung, die den Fußverkehr betreffen:

  • Zu 2. Gastronomie schafft Aufenthaltsqualität – Außengastronomie. Die Verwaltung legt dem Rat einen Entwurf zur Überarbeitung der Sondernutzungssatzung der Landeshauptstadt Hannover zur Beschlussfassung vor, der großzügigere Genehmigungsbestimmungen für Freisitzflächen und Außenterrassen enthält. In dieser Neufassung der Sondernutzungssatzung soll die Genehmigung von Außengastronomie grundsätzlich toleranter gehandhabt werden.
    Kommentar FUSS e. V.: Dabei ist darauf zu achten, dass die genehmigte Mindestbreite des verbleibenden Fußwegs bei 2,50 m liegt. Kontrollen sind nötig damit die Flächen im Gaststättenbetrieb auch eingehalten werden.
  • Zu 4. Parkgebührenreduzierung zur Stärkung der Wirtschaft. Parkgebühren auf oberirdischen öffentlichen Stellplätzen werden montags bis samstags künftig nur noch bis 18.00 Uhr erhoben, um den Einzelhandel und die Gastronomie in den Abendstunden zu beleben und den Besuch kultureller Veranstaltungen in der Innenstadt zu fördern. Hiervon ausgenommen bleibt der Bereich um den Steintorplatz, in dem schon heute bis Mitternacht Gebühren erhoben werden.
    Kommentar FUSS e. V.: Zu einer attraktiven, belebten und sicheren Stadt tragen Fußgänger*innen bis spät in die Nacht bei, nicht jedoch PKW am Straßenrand. Es ist in eine Erhöhung der Sicherheit der Parkhäuser, auch abends, zu investieren. Ebenso ist die Sicherheit an den Haltestellen des ÖPNV in der Innenstand durch bessere Beleuchtung, Personal etc. zu erhöhen.
  • Zu 14. Smart Cities – Digitalisierung sichtbar machen. Gemeinsam mit der Hannover Marketing und Tourismus GmbH (HMTG), der City-Gemeinschaft und anderen Akteuren entwickelt die Landeshauptstadt Hannover ein innovatives Konzept für eine bessere Orientierung in der „Erlebnis-Innenstadt“ von Hannover. Dieses Konzept beinhaltet zum einen ein räumliches Informations- und Touristenleitsystem mit Informationstafeln zu relevanten öffentlichen Einrichtungen, Sehenswürdigkeiten, Denkmälern usw. Über eine App werden zudem digitale Informationen zu Veranstaltungen, den ÖPNV und allgemeinen Hinweisen zugänglich gemacht.
    Kommentar FUSS e. V.: Die Innenstadt ist ein Ort, an dem sich alle Bürger*innen begegnen können. Daher muss dieses Leitsystem zwingend auch Informationen über die Barrierefreiheit der Wege, ÖPNV-Stationen und Veranstaltungsorte enthalten, einschließlich auch kurzfristigen Informationen zu Störungen der Barrierefreiheit, z. B. durch Baustellen auf Fußwegen oder defekte Aufzüge der ÜSTRA. Die Mitglieder der City- Gemeinschaft stellen Informationen zur Barrierefreiheit ihrer Angebote und Geschäfte bereit.
  • Zu II. Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit
    Kommentar FUSS e. V.:
    Sicherheit und Sauberkeit sind wesentlich für einen entspannten angstfreien Aufenthalt von Fußgänger*innen, auch zu später Stunde. Deshalb werden die Vorschläge 18 bis 22 und 25 unterstützt.
  • Zu 54. Zusätzliche Fahrradbügel. In der gesamten Innenstadt, insbesondere am Rand der Fußgängerzone, werden durch den Aufbau weiterer Fahrradbügel zusätzliche Abstellmöglichkeiten für Fahrräder geschaffen. Die Fahrradbügel sollen an geeigneten Stellen platziert werden, die die charakteristischen Sichtachsen der Einkaufsstraßen in der Innenstadt nicht schneiden oder beeinträchtigen. Für den Aufbau zusätzlicher Fahrradbügel werden keine Pkw-Stellplätze aufgegeben.
    Kommentar FUSS e. V.: Das Aufstellen zusätzlicher Fahrradbügel auf Fußwegen behindert den Fußverkehr und wird daher abgelehnt. Fahrradbügel auf Fußwegen führen zum einen dazu, dass auf den Gehwegen bis zur Abstellanlage gefahren wird und stellen zum anderen Hindernisse für die Fußwege dar. Stattdessen sind Fahrradbügel auf freiwerdenden Kfz-Stellplätzen anzuordnen.
  • Zu 43. Altstadt verbindet – Burgstraße Das Straßenniveau der Burgstraße wird auf Bürgersteighöhe angehoben. Für einen barrierefreien Ausbau der Straße sind abgesenkte Bordsteine für eine stufenlose Gestaltung erforderlich. Gleichzeitig braucht es aber Bordsteine einer bestimmten Höhe, damit taktil und visuell die Abgrenzung zur Fahrbahn wahrgenommen werden kann (s. Broschüre: Wie breit müssen Gehwege sein, Hrsg. FUSS e. V. Berlin, 2022).
  • Zu 55. Verbindliche Regeln für E-Scooter. Die Einführung von verbindlichen Regeln für das Angebot und den Umgang mit E-Scootern in der Sondernutzungssatzung wird weiter vorangetrieben und deren Einhaltung konsequent kontrolliert. Für die Innenstadt werden eine Höchstmenge an angebotenen Fahrzeugen je Anbieter und fest ausgewiesene Abstellzonen definiert. Auf Grundlage der Sondernutzungssatzung werden Gebühren je Fahrzeug von den Anbieterfirmen erhoben. Die Verwaltung tritt in Gespräche mit der ÜSTRA mit dem Ziel, die Mitnahme privater E-Scooter im städtischen ÖPNV wieder zu erlauben.
    Kommentar FUSS e. V.: Die Abstellzonen sind auf freiwerdenden Kfz-Abstellplätzen anzuordnen. Unmittelbar an den Abstellzonen muss eine Lieferzone für den E-Scooterservice angeordnet werden. Bezüglich der Mitnahme von E-Scootern im ÖPNV muss deutlich kommuniziert werden, dass Fahrten auf Bahnsteigen und Gehwegen Zufußgehende gefährden und verunsichern und auch nicht erlaubt sind.
  • Zu 56. Erreichbarkeit als Zentrum für 1,2 Millionen Menschen – Oberirdisches Parken. Die ca. 4.000 oberirdischen Stellplätze in der Innenstadt von Hannover bleiben in den Bereichen, die nicht gemäß diesem Antrag für eine Erweiterung der Fußgängerzone vorgesehen sind, vollumfänglich erhalten. Die Innenstadt soll auch in Zukunft gut mit dem Auto erreichbar bleiben. In den Wohngebieten innerhalb des City-Rings werden vorzugsweise Anwohnerparkzonen ausgewiesen, deren Erreichbarkeit ebenfalls vollumfänglich gewährleistet bleibt. Das halbseitige Parken auf dem Gehwegrand wird in den Bereichen, in denen es gegenwärtig gestattet ist, beibehalten, sofern auf dem Gehweg noch ausreichend Platz für Rollatoren, Kinderwagen o.ä. verbleibt.
    Kommentar FUSS e. V.: Aus Sicht des Fußverkehrs ist halbseitiges Gehwegparken grundsätzlich abzulehnen (in begründeten Ausnahmefällen sollen mindestens 2,50 m „Restbreite", in der Innenstadt und im Umfeld von Schulen und Kitas 3 m bleiben). Das Oberirdische Parken, gemeint ist auch das Parken im Straßenraum. Das bis auf den Bereich neuer Fußgängerzonen weiter vollumfänglich zu erhaltende Parken im Straßenraum belegt Räume die auch anderweitig genutzt werden können, zumal Parkraum in Parkhäusern reichlich zur Verfügung steht.
  • Zu 58. Der Verkehr muss fließen – Leistungsfähigkeit des City-Rings. Die Leistungsfähigkeit des City-Rings bleibt durch Beibehaltung seines gegenwärtigen Ausbauzustands erhalten und wird fortlaufend weiterentwickelt. Hierbei ist auch zur Vermeidung von Emissionen daran zu arbeiten, dass der Verkehrsfluss des motorisierten Verkehrs optimiert wird.
    Kommentar FUSS e. V.: In Punkt 50 steht Mehr Beachtung für die Schwächsten – höchste Priorität für den Fußverkehr. ‚Der Verkehr muss fließen‘ muss auch für Zufußgehende und Radfahrende gelten. Lange Wartezeiten an Ampeln sind zu vermeiden, insbesondere zu Hauptverkehrszeiten. Queren von Kreuzungen muss in einem Zug erfolgen, also ohne Stopp auf Mittelinseln. Erreicht werden kann das durch entsprechende Ampeln, z. B. mit Zeiteinblendungen, Gelbphasen und längeren Grünphasen für Zufußgehende. Die Grünphasen sind an die Gehgeschwindigkeit älterer Menschen anzupassen.
  • Zu 70. Querungen über den City-Ring. Querungen über den City-Ring sollen für den Fuß- und Radverkehr sicher gestaltet werden. Wenn an einzelnen Stellen zusätzliche Querungen erforderlich werden, sind diese an das Verkehrsmanagementsystem der Landeshauptstadt (Verkehrsrechner) anzuschließen. Neue Querungen sollen den Verkehrsfluss auf dem City-Ring so wenig wie möglich beeinträchtigen.
    Kommentar FUSS e. V.: Um die Erreichbarkeit der Innenstadt für alle zu gewährleisten, ist eine Verringerung der Wartezeiten für Fußgänger*innen an den Ampeln erforderlich. Dazu gehört auch, dass der City-Ring ohne Aufenthalt auf Mittelinseln überquert werden kann. Komforteinbußen für den PKW-Verkehr an den Ampeln sind daher unvermeidlich.
  • Zu 68. Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge wird auf Grundlage der bisherigen Beschlusslage des Rates weiter vorangetrieben mit dem Zwischenziel, bis Ende 2026 an jedem zehnten öffentlichen Stellplatz in der Innenstadt von Hannover Lademöglichkeiten vorzuhalten. Dabei sind innovative und praxistauglichen Ansätze wie etwa die Installation von Ladebordsteinen zu berücksichtigen.
    Kommentar FUSS e. V.: E-Ladesäulen gehören nicht auf die Fußwege, sie sind wie auch andere Kfz-bezogene Infrastruktur im Seitenraum aufzustellen. Dafür sind entsprechende Flächen einzuplanen.

Pressemeldung Download pdf